Von Schweigen zur Freundschaft: wie ich lernte, nicht mehr wegzusehen
- Aryanna Al Ali
- Dec 16, 2024
- 4 min read
Diese Erfahrungsberichte haben zum Ziel, für die Themen Ausgrenzung und Gemeinschaft im Schulleben zu sensibilisieren. Unser Umgang hat im Allgemeinen ein sehr gemeinschaftliches, soziales, positives und respektvolles Flair! Wir kommen gerne zur Schule, weil Schule für uns ein sicherer Ort ist. Dies sollte nicht die angenehme Atmosphäre der Schule schmälern. Es kann kein perfektes System geben, deshalb schaffen wir einen Blick für einen noch bewussteren Umgang miteinander. Wir erleben alle ab und zu Situationen, in denen wir uns als Außenseiter fühlen – aber unser Schulleben ist wie eine große Familie: wir wachsen miteinander!
Die Namen in diesem Artikel wurden geändert, um die Identitäten dieser Personen zu schützen.
Ich erinnere mich genau an Fatima und die Art, wie sie von Anfang an behandelt wurde. Das war an meiner Grundschule. Sie war das neue Mädchen in unserer Klasse, frisch nach Deutschland geflüchtet. Sie sprach kaum Deutsch, war schüchtern und versuchte, so wenig wie möglich aufzufallen. Doch genau das machte sie zur Zielscheibe.
Es begann fast beiläufig. Fatima saß oft allein, und die ersten Kommentare über sie waren leise, fast so, dass es niemand bemerken sollte. Doch mit der Zeit wurden sie lauter. “Kannst du überhaupt reden?” oder “Was macht die hier eigentlich?” waren die Dinge, die ich von Mitschülern hörte. Fatima hatte eine dunkle Haut und ihr Gesicht war von Pickeln übersät, lockiges Haar, das nie so aussah wie das der Mädchen die ständig auf Social Media ihren perfekten Frisuren zeigen. Etwas, das andere sofort zum Anlass nahmen, sie zu verspotten.
Fatima wehrte sich nie. Sie hielt den Kopf gesenkt, sah auf ihren Tisch und tat so, als würde sie nichts hören. Aber es war deutlich, dass sie alles mitbekam. Manchmal sah ich, wie sie ihre Hände ineinander verkrampfte, fast so, als würde sie versuchen, sich selbst Halt zu geben. Sie wirkte wie jemand, der am liebsten unsichtbar wäre, aber es nicht schaffte.
Ich habe das alles beobachtet. Ich habe gesehen, wie sehr sie darunter litt, und trotzdem habe ich anfangs nichts gesagt. Ich glaube, ich hatte Angst, selbst ins Visier zu geraten. Die Dynamik in der Klasse war klar: Wer sich gegen die Lauten stellte, wurde schnell zum Außenseiter. Aber mit jedem Tag, an dem ich nichts tat, wurde mein schlechtes Gewissen größer.
Der Moment, in dem sich für mich alles änderte, war in einer Pause. Fatima saß allein, wie so oft, und Svenja, eines der beliebten Mädchen, kam an ihrem Tisch vorbei. „Kannst du überhaupt lächeln, oder seid ihr in deinem Land alle so?“, sagte sie und lachte, während andere mit einstimmten. Fatima sagte nichts, aber ich sah, wie ihre Augen feucht wurden, bevor sie schnell blinzelte.
In diesem Moment wusste ich, dass ich nicht länger schweigen konnte. Nach der Pause ging ich zu ihr. Ich setzte mich neben sie und fragte, ob es ihr gut gehe. Sie sah mich zuerst misstrauisch an, als könnte sie nicht glauben, dass jemand mit ihr sprechen wollte. Doch nach einem kurzen Moment nickte sie.
Das war der Anfang. Wir begannen, öfter miteinander zu reden, und ich lernte sie besser kennen. Sie war klug, hatte einen trockenen Humor und eine Menge zu erzählen, wenn man ihr Zeit gab. Nach und nach wurde aus diesen Gesprächen eine Freundschaft. Ich stand ab diesem Moment an ihrer Seite, und das reichte aus, dass andere sie irgendwann in Ruhe ließen.
Vor ein paar Wochen sprachen Fatima und ich über die Vergangenheit. Sie erzählte mir, wie sie sich damals gefühlt hatte. „Es war, als wäre ich ein Geist, den alle sehen, aber niemand akzeptieren will“, sagte sie. „Ich habe mich so oft gefragt, was ich falsch mache, warum ich nicht einfach wie alle anderen sein kann. Jedes Lachen, jedes Tuscheln hat mich getroffen, auch wenn ich versucht habe, es zu ignorieren.“
Sie sagte mir auch, dass sie an manchen Tagen gar nicht zur Schule kommen wollte. „Es fühlte sich so an, als wäre ich immer auf der falschen Seite - ich sah anders aus, ich klang anders, und selbst wenn ich nichts sagte, schien das schon ein Grund zu sein, mich anzugreifen.“
Dann schaute sie mich an und lächelte. „Aber als du angefangen hast, mit mir zu reden, hat sich das verändert. Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, dass jemand auf meiner Seite steht. Es hat mir geholfen, mich nicht alleine zu fühlen.
Diese Worte haben mich tief bewegt. Sie zeigten mir, wie wichtig selbst die kleinste Unterstützung sein kann. Was für mich nur eine Entscheidung in einem Moment war, bedeutete für sie einen Wendepunkt.
Heute sind wir gute Freunde. Fatima hat sich weiterentwickelt, spricht perfekt Deutsch und ist voller Selbstbewusstsein. Das ist wunderbar, sie so zu sehen, da ich auch lange genug sie falsch gesehen habe. Doch ich denke oft an die Zeit zurück, als sie so allein war und ich weggesehen habe. Es hat mir gezeigt, dass wir oft unterschätzen, welchen Einfluss unser Verhalten auf andere hat – sei es, wenn wir schweigen, oder wenn wir handeln.
Wie viel Mut es braucht, den ersten Schritt zu machen aber wie wichtig es ist, genau das zu tun.
An der RSH gibt es diverse Hilfestellungen, um Mobben vorzubeugen. Z.B. findet in den Klassen 5-7 einen wöchentlichen Klassenrat mit Unterstützung der Schulsozialarbeit statt. Hier werden individuelle Fälle und Hürden in der Klasse besprochen und Lösungsansätze gemeinschaftlich gesucht und durchgeführt. Außerdem gibt es die „No Blame“ und „Aktiv zum Wir“ Projekte, wie man als Team zusammenwächst. Sozialarbeiter*innen und Beratungslehrer*innen sind natürlich auch im Team. Bei Problemen kann man sich an sie wenden.
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